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Meine Rhön-Wanderung mit den Mädchen
- beginnt mit der Einführung in „Tantricum“ in 2009 Mai →
erneuert 23.August 2013, verkürzt am 8.I.2014
Einleitung
Diese kleine Geschichte ist ganz erfunden, doch sie öffnet den Blick auf
Gefühle, die ich heimlich mein ganzes Leben habe: die Lust am
Mensch-Sein und Mensch-Werden, ein Mensch in vielen Aspekten. Ich
schreibe sie nun im Alter, und wenn die Geschehnisse auch nicht
irgendwelchen Tatsachen entsprechen, so gibt das Erzählen meinen Blick
frei auf die Gefühle eines Jungen um 14, der mehr als nur ein Junge sein
wollte – so wie ich es war, alle interessanten Menschenwege ausleben.
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. . eine Tasse Tee, Kräutertee. War ein wenig langweilig, aber es war
schön, mit Susanne in ihrem Zimmer zu sitzen. Da hing eine Postkarte an
der Wand, ein Bild von van Gogh, vier bunte Boote auf den Strand
gezogen, „Anitié“ steht auf dem zweiten. Einige Jahre später merke ich:
diese Kopie hängt in vielen Studentenbuden, ist bei jungen Leuten
beliebt, vielleicht weil es so bunt ist. – Gespräch über dies und das,
bis mir einfiel, mal zu fragen, „Was ist eigentlich Spezielles an Röcken
und Kleidern dran, daß ihr Mädchen die immer anhabt? Und dabei bleibt,“
frage ich. Dazu muß ich eben erwähnen, daß damals, als die folgende
Begebenheit stattfand, Mädchen fast immer Kleider oder Röcke trugen,
Jungen immer kurze oder lange Hosen. Wenn es um die untere Hälfte des
Körpers und die Beine ging.
Susanne fragte, „hast du nie Lust, einen Rock zu tragen? Ich habe gemerkt, daß manche Jungen das gerne mal ausprobieren würden.“
Und
so ging das Gespräch weiter. Bis sie sagte, „eigentlich solltest du
auch mal ein Kleid tragen, um zu wissen . . . Um vielleicht zu
genießen . . . Oder um uns zu verstehen . . . Oder um dir klar zu
werden, was die Hosen für dich bedeuten.“
Das
war mir im Moment zu fremd, da ist etwas, was hemmte, das tut ein Junge
doch nicht. Und doch, ganz leise regte sich ein Verlangen, diesen Weg
mal zu versuchen.
„Tu´s
doch einfach mal,“ sagte sie und spielte mit dem Saum ihres Kleides.
Das war bunt und weit und hing runter bis über die Knie, und ein
Spitzenrand eines weißen Unterrockes schaut ab und zu hervor. Für ein
Mädchen ganz schön, doch da begann ich mich zu fragen, wieso ist das
eigentlich schön für Mädchen aber nicht für Jungen.
So
kam auch ein leises Verlangen auf – Mädchensachen . . . Ich stand auf
und lehnte mich an die Wand und versuchte zu spüren, wie sich mein
Körper wohl anfühlen würde, . . . im Kleid, so flatterig und unten
offen. Ein kribbeliges Gefühl im Unterkörper . . . Susanne mag etwas
gesehen haben, vielleicht eine Sehnsucht in meinen Augen. „Tu´s doch
einfach mal,“ sagte sie nochmal. Ich wurde verlegen und sehnsüchtig,
beides.
Wir
beschlossen, mal etwas zu unternehmen, bei dem ich Mädchenkleidung
tragen würde. Es war Sommer, und die Herbstferien würden nach einigen
Wochen kommen. Mal fragte Susanne mich, ob ich mit ihr und ein paar
Freundinnen eine Wanderung machen möchte, zwei Wochen durch die Rhön,
ein Gebirge bei Fulda. Ganz als Mädchen, vielleicht. „Deine Stimme ist
so hell und schön, da würde das passen.“
An
einem späteren Tag dann lädt Susanne mich zu einer Tee- und Kuchenrunde
ein, bei ihr mit ein paar Freundinnen, alle so in meiner Klassenstufe,
doch Mädchen und Jungen gehen ja in getrennte Schulen damals, keine
gemischten Klassen! Deswegen kenne ich die anderen kaum.
Echtes
Mädchen-Gezwitscher, ich sitze etwas stiller in einer Ecke und
beobachte. Mädchen sind ja was ganz nettes, aber richtig anziehen tun
sie mich nicht. Nun beginnt diese Geschichte, „die Rhön-Wanderung“. Sie
machen nun genauere Pläne für diese Wanderung in das Rhön-Gebirge. Mit
Rucksäcken und Übernachtung bei Bauern oder in Jugendherbergen. So groß
ist das Rhön-Gebirge nicht, und sie könnten es in zwei Tagen
durchwandern. Doch sie wollen mehr daraus machen, umherwandern, auf der
Wanderschaft leben, die Natur dort sein. Oder einfach irgendwo am
Waldrand oder auf einem Felsen sitzen.
Susanne
fragt mich, „willst du mitwandern?“ „Ja, warum nicht,“ sage ich zögernd
und ein wenig oberflächlich. „Im Mädchenkleid?“ „Ja, warum nicht?“ sage
ich unsicher. Mir wird heiß im Gesicht, werde wohl rot, bin verlegen.
Dennoch:
die Mädchen sind angetan von meinem Entschluss, doch dann geht eine
Diskussion dahin, daß sie verlangen, daß ich ganz als Mädchen gekleidet
mitgehe. „Das willst du doch mal ausprobieren,“ meint Susanne,
„erinnerst du dich an unser Teegespräch?“ „Wir zeigen dir auch, wie das
geht.“ „Du wirst bei uns lernen, was es heißt, ein Mädchen zu sein –
außer ein paar Kleinigkeiten, die nicht gehen, oder?“ „Und wie es sich
anfühlt, in einem Kleid zu wandern, vierzehn Tage, und keine Hose im
Rucksack, verstehst du?“
„Ich
will es mir überlegen.“ „Ach nein, nicht erst lange rum-überlegen,
nicht erst an den Gedanken gewöhnen oder so was. Gleich den Entschluß
fassen.“ Also gut, ich fühle mich weiter unsicher, ist das richtig, wenn
ich das tue? Meinen Eltern erzähle ich erst kurz vor den Ferien von
dieser Sache, und meine Mutter findet das gut, doch mein Vater ist sehr
skeptisch. Er sagt, „nachher wirst du noch zum Mädchen, und was dann?
Ein Junge kann leicht in die falsche Richtung abrutschen, und dann weiß
er später nicht mehr, wie er als Mann sein soll.“ Mutti sagt nur „ . . .
soll?“ Vater sieht sie erstaunt an, er bleibt unschlüssig, aber in
solchen Dingen hat meine Mutter immer das endgültige Sagen, also werde
ich mitwandern.
Und
dann bemerkt er, „ihr seid doch noch so jung, findet ihr euch denn
zurecht?“ Mamma meint, „in alten Zeiten sind Kinder schon mit zwölf
gewandert, und sie sind zurecht gekommen. Und sie sind doch mehrere.
Außerdem ist die Rhön übersichtlich.“ Dann haben sie sich bei den
anderen erkundigt, sie eingeladen und kennen gelernt und waren
schließlich für das ganze Erlebnis. Da war ich ihnen sehr dankbar. Man
muß ja mal anfangen, selbstständig zu sein. Und trotzdem war da auch
Angst – ich als Junge einen Rock anziehen, und darin auf die Straße
gehen? Gefühl von Gefahr, Risiko . . .
Tagelange
Planungen, Karten geliehen und angesehen, abgezeichnet, Adressen
gesammelt . . . die ganze Wanderung zu Fuß, also Zeltbahnen besorgt,
die wir zu einem Zelt zusammenknöpfen können, wenn wir draußen schlafen
wollen. Alte Militär-Dinge. Und Seile, um die Zeltbahnen an Bäumen
aufzuhängen, also keine Zeltstangen. Und Knoten lernen. Am Ende zeigt es
sich, daß außer Susanne nur vier Mädchen mitreisen, die anderen wollen
oder können nicht. Also sechs Mädchen auf der Wanderschaft, wenn ich
mich mitzähle, und das tue ich bereits. Wenn auch unsicher, immer noch.
Am
Abend vor der Abfahrt – wir müssen ja zuerst mit der Bahn in die Nähe
der Rhön reisen, nach Fulda – gehe ich zu Susanne, denn morgen wollen
wir alle uns dort treffen und früh losfahren. Die letzten Tage waren bei
mir voller Spannung, ja Zittern: wie wird es sein, als Mädchen zu
wandern? In der Mädchenkleidung? Und überhaupt so ohne
Erwachsenenführung zu wandern, in unbekannter Gegend, wo wir niemanden
kennen? Ein Wagnis, gefährlich? Und außerdem ist die Mädchenkleidung so
riskant, ich fühle mich fast ungeschützt. Keine Hose dabei? In die ich
in einer Not flüchten könnte.
Jahre
später habe ich erfahren, daß immer jemand aus den Familien im
Hintergrund bei uns war, ohne daß wir es wußten, uns bewachte, von ferne
beobachtete. Doch eine Ersatz-Hose für mich hatte diese Person nicht
dabei. Das Abenteuer muß ja vollständig bleiben.
Susanne
sagt, „komm wir bereiten alles in meinem Zimmer vor, was noch zu tun
ist, Rucksäcke packen und so.“ Aus ihrem Schrank hat sie alles
rausgesucht, was sie mir geben will. Da ich kleiner bin – ich bin der
Kleinste unserer Gruppe –, hat sie noch Sachen, aus denen sie
rausgewachsen ist. Nun bin ich sehr verlegen über all diese Sachen. Und
wie es weiter gehen wird, werde ich morgen erzählen. Nur noch dies:
Susanne sagt, „zieh dich aus und komm mit in mein Bett, hier gebe ich
dir ein Nachthemd.“ Das Nachthemd ist weiß mit kleinen Blümchen am
Kragen, typisch Mädchen, also nun geht es schon los. Und oben am rosa
Kragen Rüschen, und in der Mitte des Ausschnitts – oh, „Ausschnitt“, ein
richtiges Mädchenwort! – da ist ein rotes, gehäkeltes Herzchen. Müssen
Mädchen wohl so haben.
Susanne zieht sich auch aus, tapfer und verlegen, und zieht ihr Nachthemd an. Doch ihren Büstenhalter behält sie an.
Das
war die ersten Tage so: einige Mädchen haben zuerst fast nie ihren
Büstenhalter ausgezogen. Nicht mal beim Schwimmen in einem der vielen
Bäche, die wir gesehen haben.
Susanne
sagt, „ICH möchte dich ausziehen.“ Ihr könnt euch denken, wie ich mich
fühlte, aber ich lasse sie, weil sie etwas größer ist und ich ihr sehr
vertraue. Wie sie meine Unterhose runterziehen will, stoppt sie und
sagt, „das geht ja nicht.“ Es war aber so, wie wir Kinder damals oft
angezogen waren (jedenfalls in unserem Dorf), die Unterhose war an ein
Leibchen angeknöpft, und diese Knöpfe musste Susanne erst lösen,
rundherum, vier Stück. Ein Leibchen? Das ist eine Art Jacke, die hinten
zugeknöpft ist, und um das Leibchen an- oder auszuziehen, brauchten wir
einen weiteren Menschen, das war meistens die Mutter. Nun ist es
Susanne, und das war mir ein besonderes Gefühl: Susanne knöpft mir
hinten das Leibchen auf- und am nächsten Morgen wieder zu. „Eigentlich
müsstest du auch einen Büstenhalter tragen ...“, aber ich will nicht,
mein gewohntes Leibchen reicht mir. So viel Mädchen will ich nicht sein.
Für viele Kinder hatte das Leibchen eine weitere
Aufgabe – außer warm zu halten –, an ihm waren Knöpfe, an die
Strumpfhalter (manchmal auch die Unterhose – wie bei mir), angeknöpft
waren, doch ich trug damals keine langen Strümpfe, nur bis ich zwölf
war, dann nicht mehr, so weit. Das kam erst wieder am nächsten Morgen,
ihr werdet sehen.
Und
wie Susanne mich nackt sieht, sagt sie, „ach, du bist ja noch richtig
ein Kind.“ Wie meint sie das? Wohl weil ich keine Haare da unten habe.
Sie sagt dann, „eigentlich hätte ich das ja schon hören müssen, bei
deiner hellen Stimme. Und so klein wie du bist.“ Es ist klar, ich bin
ein Kind – und das ist gut, das bin ICH, bin ich gerne. Sind diese
Mädchen auch Kinder? Oder „junge Mädchen“? Ich werde es sehen.
[mein ganzes Leben sind mir da nie viele Haare gewachsen, und ich habe mich dran gewöhnt]
Wie ich mein Leibchen noch anhabe, sagt
Susanne, „lass uns mal eben zu meinen Eltern rüber gehen, ins
Wohnzimmer, die möchten gerne sehen, `wen ich mir ins Bett hole´, wie
sie sagten.“ Sie nimmt mich an die Hand und wir gehen rüber, beide
`nackich´, wie Susanne sich ausdrückt – außer meinem Leibchen. Da war
ich erst recht verlegen, so nackt vor fast fremden Leuten, es waren noch
zwei Freunde von Susanne´s Eltern da. Wir bleiben an der Tür stehen,
und – oh, ist mir das peinlich – mein Penis wird steif, doch die
Erwachsenen sind sehr verständig und freundlich und begrüßen mich. Und
wünschen uns eine schöne Nacht. Doch nun bleiben wir noch eine viertel
Stunde bei ihnen. Bei einem Glas Saft.
Eine alte Frau meint, „oh, das ist ja schon
Jahrzehnte her, daß ich einen nackten Knaben gesehen habe,“ und sie
betrachtet mich freundlich von oben bis zu den Füßen. Da fühle ich mich
sehr angenommen und gesegnet.
Immer
noch verlegen lege ich mich neben Susanne, und wir schlafen gut und
miteinander gekuschelt warm und lange. Morgens dann die Verwandlung:
Bild 1.
das Leibchen, der Hüfthalter, die langen Strümpfe
für Stefan (13) von Susanne:
der Übergang vom Kind zum Jugendlichen,
oben das letzte Mal altes Leibchen, weiter unten
der Hüfthalter mit den langen Strümpfen.
Unterkleid und Kleid reichen bis zu den Knien
(Bild 7),
so mag ich Mädchen sein.
Wie Susanne mir morgens mein Leibchen zuknöpft,
komme ich mir erst noch wie ein kleines Kind vor, ich brauche diese
Hilfe noch immer zum Aus- und Anziehen! Doch dann gibt sie mir etwas,
das nennt sie „Hüfthalter“, ein festes Kleidungsstück wie ein breiter
Gürtel oder kurzer Schlauch, in den ich mit dem Unterleib schlüpfe und
der fest anliegt, sich hinten fest um den Po schlingt. Ist nicht für
kleine Kinder, sondern eher für Mädchen und Frauen, . . . also manchmal
auch für Jungs. Ich steige in den Hüftgürtel von oben rein, wie in eine
Badehose. Er ist dazu da, um Strümpfe anzuknüpfen. Und hake ihn seitlich
fest, so daß er nicht rutscht, mit drei Häkchen und Ösen. Hatte Susanne
früher getragen und ist nun raus gewachsen.
Das war mein letzter Tag im Kinderleibchen.
Und
da sind die Knöpfe außen am Hüfthalter dran, an die wir die vier
Strumpfhalter knüpfen – Strumpf-Halter? Ja, die Mädchen tragen die
langen Strümpfe. Also nun auch ich – wieder, eben als Mädchen. Zum Kleid
oder Rock gehören lange Strümpfe, das ist so. Sonst kann es zu kühl
werden unterm Rock.
Bild 2.
die Strumpfhalter mit dem Wäscheknopf.
Dies könnte ein Bild von Marianne sein, denke ich,
von Susanne´s Mutter gezeichnet.
Seht auch hier:
Die
vier Strumpfhalter-Gummis baumeln nun an den Schenkeln. Sehr
eigenartig. Ich muß gestehen, daß mir bei all dem mein Glied steif wird
und ich mich verlegen umdrehe. Dann bekomme ich ein paar beige Strümpfe,
fast so lang wie die Beine. Verlegen und auch genußvoll ziehe ich sie
an, ziehe sie hoch und klammere sie fest an die Halter. Nun bin ich
wirklich schon ein Mädchen, außer daß das Glied noch immer ein wenig
steif ist.
„Zieht
ihr immer so lange Strümpfe an?“ frage ich Susanne. „Ja, sogar noch
längere, die sind warm, und außerdem sieht es ordentlicher aus als mit
nackten Beinen unterm Kleid.“ Ich sehe mir meine bestrumpften Beine an
und finde sie schön, das erste Mal in meinem Leben finde ich das so.
Liebevoll streiche ich meine Knie, das ist ein gutes Gefühl –
Mädchenkleidung ist also doch was!
„Hier
ein Mädchen-Schlüpfer,“ und sie gibt mir grinsend ein rosa Höschen, das
– wie ich es anziehe – kurz und locker um meinen Körper schlappert. „So
was alles soll ich anziehen?“ – am Rand ist es rosa umhäkelt, fein und
kaum sichtbar. „Ja, – Mädchen oder nicht?“ sagt sie lächelnd. „ . . .
dieser Hüfthalter würde doch reichen, oder?“ sage ich zögernd. Immerhin
ist er länger als das Höschen, reicht runter bis fast ein Drittel meiner
Schenkel, wie ein enger Schlauch, schon recht eigenartig. Ich bin
unsicher, was hier das Richtige ist. „na, meinetwegen, sieh zu was du
magst,“ sagt Susanne.
Dann ein weißer Unterrock mit Spitzen unten dran –
alles so wie Susanne es hat. Eigentlich ein Unter-Kleid, das an den
Schultern hängt und nicht an den Hüften. Und dann endlich das obere
Kleid, ein langes, weites Kleid fast bis an die Knie, ein Handbreit
länger als das Unterkleid. Und ein dunkelgrünes Tuch um den Hals. Und
wenn ich als Mädchen zur Schule ginge, müsste ich noch eine Schürze
umbinden, ist so.
Das
ist nun das Eigentliche, das eigentlich Mädchenhafte. Das Kleid ist
einfach grau, „Wanderkleid“ sagt sie. Nur der breite Kragen ist – wieder
– rosa umhäkelt. Das Kleid ist unten herum weit und wird später im Wind
wehen. Doch das Weite hat einen weiteren Sinn, den werdet ihr noch
entdecken. Oben ist das Kleid wie eine Bluse, die Hüfte schlank, doch ab
der Hüfte weit, und ein Gürtel hält es zusammen. Oder ist der nur eine
Zierde? Ich hänge noch ein Täschchen an den Gürtel – das ist eher
Jungens-Sitte oder Männer-Sitte. Denn im Kleid sind keine
„Hosentaschen“, und einen Platz für Taschentuch und Portmonee und
Taschenmesser und Gefundenes muß man ja haben.
„Geh
mal hin und her, ob es dir steht.“ Stehen? Denke ich, es ist doch
einfach ein Kleid. „Und sieh dich im Spiegel im Flur an.“ Da muß ich
mich erst dran gewöhnen, an das Gehen im Kleid, also ohne Hosen – komme
mir irgendwie nackt vor. Überhaupt die ganze Kleidung: die Strümpfe, die
Strumpfhalter, die sich spannen. Die Luft zwischen den Beinen, da wo
die Strümpfe nicht sind (also auch nicht dieser Mädchen-Hüfthalter),
also ganz oben. „Das ist nun dein Wanderkleid, ist das richtig so? Ein
richtiges Wanderkleid, das hat Mutti mir mal genäht, doch nun ist es mir
zu kurz geworden.“ Denn Susanne ist ja länger als ich.
Verlegen halte ich das Kleid mit der Hand runter, zwischen den Beinen fest – wegen des Windes.
Dann
gibt sie mir noch Anweisungen, wie das zu tragen ist: „Du mußt immer
aufpassen, daß dir niemand unter das Kleid sehen kann.“ „Und warum
nicht?“ „Na, ist doch klar, weil man deine Unterwäsche und die
Strumpfhalter nicht sehen darf. Das ist einfach so, alle Mädchen passen
da auf, und schämen sich, wenn es doch mal passiert.“ „Das stimmt ja gar
nicht, wie oft kann man da drunter sehen,“ sage ich. Doch erst mal soll
ich mich so hinsetzen, daß das Kleid ordentlich auf dem Stuhl liegt und
man – eben! – nicht druntersehen kann. Ein wenig schwierig, denke ich, aber ich will das ja alles lernen.
„Sieh
noch mal in den Spiegel. Ist das alles so wie du es möchtest?“ In dem
Moment schaltet sich etwas in mir um, wie ein Lichtschalter. Da fühle
ich mich plötzlich sehr wohl, alles ist schön und in Ordnung. Es blüht
auf in mir, mein Gesicht wird zum Lachen, ich werfe die Arme hoch und
freue mich riesig über das wie es nun so ist: diese wunderbare
Mädchenkleidung. Ich merke, daß ich das schon immer wollte, aber nie
wagte zu sagen, kaum wagte, es auch nur zu denken. Lachend tanze ich
umher und lasse das Kleid schwingen. Susanne steht staunend da. „Das ist
doch etwas Wunderbares! Ich wollte es schon immer, aber es ging irgend
wie nicht.“ Wirklich sehr froh fühle ich mich – obwohl ich noch immer
Angst habe, das auf der Straße zu zeigen, meine mädchenhafte Kleidung
und meine Fröhlichkeit. Auch Angst vor dem Wind, und dauernd das Kleid
festhalte, obwohl wir im Haus sind.
Vier
Mädchen kommen an und werfen ihre Rucksäcke in den Flur. Es ist ja
Herbst, und wir alle haben eine Windjacke und Pullover mit. Und
Wanderkleider ähnlich wie meins tragen sie alle. Nicht bunt sondern in
gedeckter Schlichtheit, eben Wanderkleider.
Eine
dicke Decke ist außen auf die Rucksäcke aufgeschnallt, und ein oder
zwei Zeltbahnen darüber, gegen Regen. Ich stehe rum und weiß nicht, wie
ich mich bewegen soll, mit all dem Ungewohnten, in dem flatternden Kleid
und den langen Strümpfen, und der kühlen Luft zwischen den Schenkeln.
Über die Füße tragen wir noch wollene Socken, Fußwärmung, außerdem ist
es ein wenig Mode: derbe Stiefel mit Nägeln an den Sohlen, Socken, die
langen Strümpfe, wie bei vielen Jungen auch, das sieht sportlich aus.
Die Strümpfe der Mädchen sind viel länger als meine, sie sind wie meine
beige oder braun – dicke Baumwolle, höre ich. Meine sind oben mit den
bekannten glänzenden Drahtösen festgemacht (anders als auf der Zeichnung
oben sondern wie Bild 4) an klein-fingerlangen, weißen, breiten
Gummibändern, die Strumpfhalter, die am Hüfthalter angeknöpft sind. Aber
das können andere Leute nicht sehen, interessiert ja nicht, ist hoch
unter dem Kleid. Doch später sehe ich, daß zwei Mädchen zwei Knöpfe am
Strumpf haben, eher Kinder-Art, und die brauchen die Draht-Dinger nicht.
Susanne ist das eine. Und mir gibt sie diese „erwachsenen“, oh! [ich
beschreibe das hier so genau, weil diese Kleidung heute, um 2012, nur
noch wenigen Menschen bekannt ist, und selbst ich mir alles wieder
selbst-erklärend vor Augen führen muß, damit alles in meiner Erzählung
zusammen passt]
Bild 3.
später, nach der Rhön-Wanderung zog ich zeitweise
einen richtigen Strumpfhaltergürtel an,
patenter als der Hüfthalter
Bild 4.
so sehen die Drahtösen aus,
mit denen wir die feineren
Strümpfe (Baumwolle, Nylons) anklammern
Loswandern,
erst zum Bahnhof, Fahrkarten gekauft, hoch zum Bahnsteig, der Zug kommt
mit seiner dampfenden, schwarzen Lokomotive. Aus dem Lok-Fenster
schauen die zwei Fahrer und winken uns zu – „sie mal, so schöne Mädchen,
die wollen wandern.“ Ihre Gesichter sind verrußt, die Augen fröhlich.
Diese Augen machen mir Mut. Wir klettern die zwei Stufen zum Waggon
hoch, und ich habe Scheu, daß mein Kleid hochfliegt. Doch die anderen
halten ihre Kleider geschickt runter, und ich lerne von ihnen . . .
das waren die Anfänge des Lernens.
Bild 5.
Einsteigen im Rock bei wehendem Wind
In
Fulda angekommen, der Bahnsteig noch vom Krieg verletzt, kein Glasdach
darüber, nur die eisernen Gerüste für die Scheiben. Doch es regnet ja
nicht, und da ist das Dach heute nicht nötig, das der Krieg zerdeppert
hat. Wir lachen fröhlich und lassen uns von einem jungen Mann erklären,
wie es rauf zum Petersberg geht, von wo die Wanderwege in die Rhön
abgehen. Da oben steht auf einem noch höheren Berg eine Kirche, doch wir
besuchen nicht Kirchen, wenn wir Landschaft sehen wollen.
Nun
will ich euch nicht so viel von der Rhön erzählen, dieses soll ja kein
Reiseführer werden. Sondern von den Erlebnissen, die wir fünf
MITEINANDER haben. Und wie diese Kleidungsart auf mich wirkt, wie mein
neues Mädchen-Sein für mich ist. Außerdem kann ich mich heute, wie ich
dies nach Jahrzehnten aufschreibe, nicht mehr an die Einzelheiten in der
Rhön erinnern. Nur dies: die Rhön ist übersichtlich.
Den
Weg rauf zum Petersberg gehe ich hinter den anderen. Ich sehe wie die
Kleider wehen – und mein Kleid weht auch so freudig – und die Zöpfe
wehen – schade, daß ich keine Zöpfe habe, das würde noch fehlen. In
einem Laden kaufen wir uns noch Nahrungsmittel, die uns fehlen: Äpfel,
Schwarzbrot, Butter, Marmelade, etwas Käse und ein paar Wurstscheiben,
Kartoffeln, Zwiebeln, was es so gibt. Die Frau hinterm Ladentisch
bewundert uns, daß wir so allein wandern wollen. „Seht euch nur vor, in
der Rhön sind auch ein paar Riesen und Zwerge unterwegs,“ sagt sie
lachend. „Und was tun die?“ frage ich verängstigt. Alle lachen, und sie
weist auf ein gemaltes Bild von Riesen und Zwergen und ein paar
verängstigten Menschenkindern an der Wand. Manchmal neige ich zum
Verängstigt-Sein, und diese lose Kleidung verführt mich noch mehr dazu,
ich fühle mich nicht so stark wie diese Mädchen um mich. „Ihr solltet
euch jede einen dicken Knüppel nehmen.“ Das tun wir denn auch.
Wie
wir weitergehen passiert etwas: es wird unter meinem Kleid locker,
irgend etwas stimmt nicht, die Strümpfe rutschen, und mein Hüfthalter
wird von ihnen runtergezogen – von einer unbekannten Kraft – und ich
weiß nicht was los ist. Da merke ich: der Hüftgürtel hat sich geöffnet.
Und rutscht und hält nichts mehr. Was sollte ich nun tun? Ich bleibe
zurück und fange fast an zu weinen. Da kommt Susanne zurück und will mir
helfen. Oh, ist das peinlich, wir stellen uns in einen kleinen Gang
zwischen Häusern und ich hebe mein Kleid hoch und sie hakt meinen
Hüfthalter wieder zu. Die Häkchen waren lose und hielten nicht mehr
zusammen. Und alles bringt sie wieder einigermaßen in Ordnung. „Das sind
so die Risiken, mit denen wir Mädchen manchmal zu tun haben. Da machst
du gleich die richtigen Erfahrungen, lernst, wie es uns ergehen kann,“
und sie küsst mich kurz auf die nackte Haut oberhalb des Strumpfes bevor
sie Unterkleid und Kleid wieder fallen lässt. Und es wird wieder etwas
wärmer unter der Unterwäsche.
Abends, bei der ersten Nacht-Stelle nähen wir die Häkchen fester.
Johanna
sagt, „da oben bei der Kirche ist ein Nonnenkloster. Irgendwie habe ich
Lust, mal Nonne zu sein, oder wenigstens Jung-Nonne, denn ich weiß ja
nicht, ob ich das immer will, im Kloster leben.“ „Dann kannst du aber
nicht mehr so kurze Kleidchen tragen,“ meint Petra grinsend, denn
Johanna´s Kleid bedeckt nur eben ihre Knie. „Also, so kurz ist es nun
wirklich nicht, meine Knie kannst du nicht sehen.“ „Doch, wenn ein
Windstoß kommt . . . und dein Unterrock blitzt immer wieder mal . . .
ist eigentlich schön so. Doch Nonne?“
Wir
wandern weiter, den Petersberg wieder hinunter, Richtung Rhön, die
Berge sind schon zu sehen, und die großen Wälder. In einem Dorf kommt
ein großer Hund gerannt und bellt, und wir fürchten schon gebissen zu
werden, Löcher in die Kleider zu bekommen. Wir bleiben ganz ruhig, und
er verwandelt sich schnell in einen lieben Freund, der einfach nur
beachtet werden will, und gestreichelt, denn er gräbt mir seine nasse
Nase unter die Hand. Und dann versucht er unter mein Kleid zu
schnüffeln, doch das lasse ich nicht zu, geht mir zu weit, so viel
Mädchenrisiko will ich nicht.
Weit
hinter dem Dorf sind Wiesen und ein Bach mit langen Baumreihen an den
Ufern. Der Bach sehr gewunden, und wir finden eine Bachbiegung, die im
Bogen einen kleinen Platz einschließt, auf dem wir nun lagern. Umgeben
von Bäumen, Erlen und so. Das Wasser plätschert und rauscht, und an
einer tieferen Stelle könnten wir baden, denken wir, aber jetzt nicht.
Erst müssen wir uns aneinander gewöhnen bevor wir uns miteinander
ausziehen, „ . . . nackt-Sein ist doch etwas Besonderes; soll was
Feierliches sein. Gut vorbereitet mit den Gefühlen,“ sagt Susanne.
Wir
machen uns ein kleines Lager, sammeln ein paar dicke Steine aus dem
Bach und machen ein Feuerchen. Wollen Kartoffeln braten. Hier ist es
gemütlich, und kein Wind weht herein in unsere „gute Stube“. Ich ziehe
meinen Hüfthalter aus, und Susanne repariert die Sache mit den Häkchen.
Das ist nun eine sehr mädchenhafte Begebenheit: mich so weit ausziehen.
Und alle sind irgendwo in der Umgebung und könnten es sehen, doch sie
sind nicht interessiert – gegen meine Befürchtungen. Und alles wieder
anziehen und die Strümpfe anknüpfen, sehr intime Gefühle. Ist das Intime
das Mädchenhafte?
Wir
haben uns auch einen kurzen Feldspaten mitgenommen, damit wir für
unsere Kacke ein Loch graben können – es wäre zu unfein, wenn das alles
im Wald rumliegen würde. Ich muß erst lernen, so wie die Mädchen das
Kleid hochheben und mich dann hinzuhocken. Auch zum Pinkeln, nicht wie
ein Junge im Stehen.
Nachher
schlafen wir etwas in der Sonne, und dann wandere ich allein am Bach
entlang. Irgendwo ist eine Beton-Brücke mit altem Eisengeländer, ich
lehne mich auf das Geländer und beobachte das Fließen des Wassers und
sehe Forellen. Dabei weht mir leichter Wind unter das Kleid, und ich
entdecke, wie wohltuend das ist, der „liebende“ Wind auf der nackten
Haut, der Bach-Wind mit seine zarten Händen. Da wo Susanne vorhin
hingeküsst hat. Langsam verstehe ich ein wenig, warum manche Mädchen so
besonders gerne Rock oder Kleid tragen, und lange Strümpfe, aber keine
langen Hosen. Und weil manche Jungen das auch gerne möchten, heimliche
Sehnsüchte.
Dann
bauen wir zum ersten Mal das Zelt auf, knöpfen die Bahnen zusammen und
hängen das Ganze an Seilen an die Bäume. Dauert lange, bestimmt eine
Stunde, aber es macht Spaß, wir arbeiten ja zusammen, und das ist gut.
Wir sammeln trockene Kräuter und Laub am Waldrand und legen das unter
unsere Decken.
Dann
baden wir endlich, an einer tiefen Stelle im Bach, alle nackt ins
Wasser. Nur zwei Mädchen behalten ihre Büstenhalter an, warum verstehe
ich nicht, denn ich lasse mir mein Leibchen nun auch ausziehen (das
letzte Mal in diesem Leben – Ende des Kindseins). Susanne und ich sind
ganz ohne Scheu miteinander, doch einige andere drehen uns den Rücken zu
wie sie sich ausziehen und gehen ins Wasser, so daß wir sie nicht ganz
nackt sehen können. Doch später werden sie freier. Und ich sehe, daß sie
alle ein paar oder viele Haare haben, da schäme ich mich zuerst meiner
Haarlosigkeit. Und fühle mich bald nun doch wieder recht als Kind. Das
ist aber ein warmes Gefühl, gerade mit diesen Mädchen. Ich empfinde
etwas Mütterlichkeit von ihnen, und das tut gut. Ich freue mich, Kind zu
sein und diese mädchenhafte Mütterlichkeit anzunehmen, ohne Scham oder
Verlegenheit. Da habe ich eine Erinnerung an meinen Großvater, der mal
sagte: „du bist Kind, sei ganz Kind, das bist du jetzt gerade, und das
ist schön und richtig. Du mußt nicht wo anders hin, mußt nicht Mann
WERDEN. Bist zwölfjähriges Kind!“
Nachts
ziehen wir unsere warmen Nachthemden an, alle, und wickeln uns in die
Decken im Zelt, dicht aneinander. Die Hemden sind aus einem dicken
Stoff, deswegen warm. Da liegen wir nun zusammen, und zuerst ist es noch
recht unruhig, es gibt immer wieder etwas zu erzählen. Vorher aber
machen wir nochmal ein Feuer und sitzen lange daran, nur im Nachthemd
und in eine Decke gewickelt, es ist eine warme Nacht. In der Nacht hören
wir ein unheimliches Gebrüll im Wald, da sind nun die angesagten
Riesen, denke ich ängstlich und zitternd und bin froh, mit den anderen
im Zelt versteckt zu sein. Doch eines der anderen weiß, daß es Hirsche
sind, die jetzt ihre „Brunft“-Zeit haben.
Am
nächsten Tag stehe ich früh auf und freue mich meiner Nacktheit in der
Morgenkühle, renne umher und recke mich. Zwei Tage danach trägt keines
der Mädchen mehr einen Büstenhalter beim Baden.
Später
kommen ein paar Kinder vorbei und spielen am Bach. Da ist ein Junge von
vielleicht sieben Jahren, der schreit plötzlich, „oh weh, nun habe ich
mir in die Hose gekackt,“ und weint laut vor Schreck und Scham. Ihr Dorf
ist gewiß eine halbe Stunde entfernt, und so mag er nicht gehen. Ich
kümmere mich um ihn, ziehe ihn aus, er tut ganz hilflos und findet meine
Hinwendung angenehm, merke ich. Ich bin auch noch nackt, und wir gehen
zusammen ins Wasser und ich wasche ihn. Und seine Hose, die ich dann in
Wind und Sonne hänge zum Trocknen. Der Kleine läuft nun mit uns nackend
umher, nur im Hemd. Ich fühle mich sehr gut hiermit, angenommen und
weich, von Kind zu Kind, und fühle, daß dem Jungen das auch gefällt. Und
seinen größeren Geschwistern auch, die dabei sind.
Drei
Tage bleiben wir in der Bachbiegung. Niemand kommt, niemand stört uns.
Nur die Kinder kommen nochmal und beschenken uns mit ein paar frischen
Brötchen – „als Dank von der Mutter,“ sagen sie, „frisch aus der Röhre.“
Einmal
wandern wir in der Umgebung umher, da kommt ein schneller Regenguß. Es
regnet heftig, zum Glück nur ein paar Minuten. Ich hatte meine Windjacke
an, aber einige nur ihr Kleid. Voller Schrecken halten sie erst ihre
Hände auf die Haare, doch dann tun sie etwas, das mich sehr erstaunte:
sie stülpen ihr Kleid hoch und über ihren Kopf. Nur im Unterrock gehen
sie weiter, lachend und wie vorher miteinander schnatternd. Wenn ich mir
vorstelle, ich hätte das getan, oh, das wäre über meine Grenzen
gegangen.
Marianne
möchte gerne mehr in die Landschaft sehen, und wir wandern weiter:
irgendwo ein Waldrand am Berghang. Dort unser nächstes Lager. Petra
dichtet dauernd Gedichte, und deswegen nennen wir sie Poetra. Wieder
knüpfen wir unsere Zeltbahnen zusammen, mit den dünnen Blechknöpfen.
Nachts schlafen wir wenig, denn der Mond scheint sehr hell vor uns.
Meistens liegen wir dicht nebeneinander und sehen auf die Wiesen unter
uns, leicht mit Nebelfetzen überzogen. Es ist sehr still, bis wir ein
leichtes Grunzen hören, und ein paar Wildschweine erscheinen auf der
Wiese. Unheimlich, und wieder bekomme ich Angst, doch Johanna sagt, wir
müssen einfach still sein. Dann haben die auch keine Angst. Und wir
beobachten, was sie alles machen, im Grunde wühlen sie nur die Wiese
auf, was den Bauern bestimmt nicht begeistern wird. Dann ziehen sie
weiter – mit ihren Kindern, den Frischlingen. Auch Kinder, wie wir, die
Menschen-Kinder.
Hier
bleiben wir drei oder vier Tage, und auf den kleinen Spaziergängen in
die Umgebung sehen wir auf einem Berg ein Schloß mit einem spitzen Turm,
von dem ab und zu Glockentöne kommen. Jemand sagt uns, daß das eine
Schule für Jungen ist. Sie wohnen da auch. Ein Internat.
Und
dann treffen wir einen Mann, der läuft, ein Sportlehrer, der übt
laufen. Vielleicht damit er immer besser ist als seine Schüler, doch das
gelingt ihm nicht, wie er sagt. „Wenn sie erst 15 sind, werden sie
Junge für Junge schneller und ausdauernder als ich.“ „Ist Ihnen das
unangenehm?“ „Nein garnicht, das ist ein großer Genuß, zu sehen, wie
sie wachsen und stärker und schneller werden, schneller noch als vor
einer Woche.“ „Wo wohnen Sie?“ „Nicht im Schloß wie die anderen Lehrer.
Ich habe ein Häuschen hier im Wald. Mögt ihr mich besuchen?“
Wir
mögen. Und nach zehn Minuten sehen wir sein Häuschen unter hohen
Bäumen, und etwas entfernt einen Blumengarten. Und ein Klohäuschen, eine
winzige Bretterbude. Er ist Lehrer in dem Internat auf dem Schloß.
„Zur
Feier unseres Treffens möchte ich euch ein Konzert vorspielen. Doch
zuerst mache ich uns Tee, Kräuter? Oder schwarzen?“ Da er Zucker und
Milch bereit hält, wählen wir alle schwarzen, aber schwach, bitte. Er
hat ganz feine Tassen, und statt Milch bietet er Sahne an, „Schafsahne,
wie die das in Ostfriesland haben, immer. Hinter dem Wald stehen zwei
Schafe von mir, und da . . . “
Wir
setzen uns auf seinen Teppich während er in der ganz kleinen Küche den
Tee bereitet. Ein schöner, bunter Teppich, „ja, aus Persien, habe ich
mir da gekauft auf einer meiner Reisen in den 30er Jahren.“ Und dann:
„ich habe hier einige schöne Schallplatten, klassische Musik, darf ich
euch mein Lieblingskonzert vorspielen?“ Während wir miteinander
wanderten, haben wir bemerkt, daß wir alle Liebhaber der Klassik sind
und sagen alle ja. Das kommt von unseren Schulen, wo wir, manchmal
gemeinsam in der Mädchenschule oder in unserer, Konzerte hören, mit
liebevoller Einführung durch unseren Musiklehrer, Herr Haberland, für
beide Schulen.
Herr
Penneckendorf, wie der Herr heißt, freut sich sehr. Da er dankbare
Zuhörer hat, besonders, wie er sagt, so junge Leute. „Hier habe ich das
Violinkonzert e-moll von Felix Mendelssohn-Bartholdi. Viele große
Komponisten haben tatsächlich nur ein großes Violinkonzert geschrieben,
Beethoven, Mendelssohn, außer Mozart und Bach.“ und Tränen kommen ihm,
wie er das erzählt, und er legt die Nadel auf die Platte. „Die Geige
wird von Wolfgang Schneiderhan gespielt, ein ganz großer Meister in
meiner Sicht.“ Das Konzert beginnt, und er ist so sehr gerührt, daß ihm
immer mehr Tränen fließen. Wir kennen das Konzert alle durch Herrn
Haberland, und lassen uns ganz hineinfallen. Wie der erste Satz zuende
ist, sind alle Gesichter naß. Es ist eine so großartige Schöpfung!
Herr
Penneckendorf ist sehr dankbar. Nach dem Ende des Konzerts gehen wir
still raus zum Zeltplatz. Wir hören ihn noch schluchzen wie wir leise
die Tür schließen. Am nächsten Morgen kommt er und trinkt mit uns einen
Tee und sagt, „ich bin so dankbar für eure Hingabe.“ Lange sieht er mich
an und sagt dann, „du bist doch kein Mädchen, oder? Ich weiß doch wie
Jungen aussehen. – Es ist gut, wenn Jungen diese weiche und sensible Art
des Mensch-Seins auch kennen lernen und vielleicht in ihr Leben
hineinnehmen – und große Künstler werden. – Und uns grobe Mitmenschen
von den Feinheiten des Lebens etwas mitgeben – du solltest auch Violine
spielen, kannst du etwas? – Ich sehe die Violine in deinen Armen. – Bei
uns in der Schule sind zwei Jungen, die gerade eine Wanderfahrt machen
und sich dafür Mädchenkleider angezogen haben. Sie müssen bald zurück
sein, ich beobachte sie still aus der Ferne, ob auch alles richtig
läuft.“
Still sitzen wir eine Weile, und dann sagt Herr
Penneckendorf, „Mädchen, Frauen, haben eine sehr große Aufgabe ins Leben
mit bekommen. Die Feinheiten, die Kultur, die Liebe ins Leben zu
bringen. Es scheint, daß Männern das nicht so leicht fällt – außer
einigen ganz großen, wie Mendelssohn.. Wir in der Schule da oben geben
uns so viel Mühe, doch so viele Jungen sind bereits in ihrer Kindheit
verdorben worden. Der Krieg zieht noch immer seine Spuren.“
In
seiner Hütte zeigte er uns einen Bildband von einem Maler, „den sehe
ich mir immer an wenn ich dieses Konzert höre, William Turner aus
England.– wer noch mehr dazu passt ist Carl Blechen, oder später einige
Worpsweder Maler wie Frau Modersohn-Becker, wie ich das fühle.“
„Ich
stelle mir dann vor, daß Wolfgang Schneiderhan dieses Konzert im Moor
bei Worpswede spielt, und alle Künstler und Bewunderer rundherum sind
da, und das schreckliche Munitionslager in Axstedt nahebei wird durch
die Feinheit und Tiefe dieser Musik und Malerei einfach zerschmolzen.
Und verwandelt sich in eine weitere Künstlerkolonie – mit Malern,
Bildhauern, Töpfern, Komponisten . . . Diese schöne Paula
Modersohn-Becker und ihre Familie . . . “
Und
er gibt uns ein bedrucktes Blatt mit einem Gedicht seines
Lieblingsdichters Rilke, und weil es zu uns passt, meint Herr
Penneckendorf, wir sollten doch die beiden ersten Verse in unser
Wandertagebuch aufnehmen:
Einmal, am Rande des Hains,
stehn wir einsam beisammen
und sind festlich, wie Flammen
fühlen: Alles ist Eins.
Halten uns fest umfaßt;
werden im lauschenden Lande
durch die weichen Gewande
wachsen wie Ast an Ast.
Wie
er uns das Blatt gibt und vorliest, denke ich wieder an das Konzert
gestern abend und wieder fließen Tränen – oh wieviele Tränen habe ich
wohl noch vorrätig? Mädchen weinen ja viel – aber ich wohl noch mehr.
Und lachen kann ich auch mal, im schnellen Wechsel.
Bild 6.
Am Ende der Wanderung macht Marianne ein Foto,
ihr seht von links:
Petra, Dorothea, Johanna, Susanne, Stefan,
Susanne´s Mutter hat nach dem Foto dieses gezeichnet,
sie hat unsere Kleider etwas frech gekürzt
Ihr seht, ich bin kein Mädchen
- bin etwas verschlampt,
meine Strümpfe sind verrunzelt.
Und ein Mädchen würde nicht so stehen.
Marianne
ist die Größte von uns. Sie sagt, „nun bekomme ich meine Blutung. Nun
werde ich vielleicht unleidlich sein. Bitte nehmt mir das nicht übel.
Das ist ein wenig schwierig.“ Und sie zieht sich ihren Schlüpfer an und
legt eine „Binde“, wie sie sagt, hinein. Das ist etwas sehr
Mädchenhaftes, was ich selbst nie erleben kann. Sie ist so lieb und
zeigt mir das Blut in der Binde. Ich stelle mir vor, daß aus meinem
Glied Blut käme, doch ich weiß, das wird nie geschehen. Später vergraben
wir die blutige Binde feierlich an einer schönen Stelle, und Marianne
sagt, wir könnten ein wenig beten an dem Ort, und sie will sich von
ihrem Blut verabschieden. Und es solle dem Waldboden zum Segen sein, ihm
Fruchtbarkeit für schöne Blumen und süße Beeren geben.
Ich
wandere ein wenig umher, und im Wald finde ich einen Fuchsbau, vor dem
ein paar junge Füchse spielen, Welpen nennen die Förster die ja. Sie
sind sehr vertraut und verschwinden nicht in ihrem Bau wie ich komme,
ich hocke mich still auf den Boden und sehe einfach zu. Der Boden um den
Bau ist staubig-lehmig von der hinaus geschafften Erde, ich fürchte um
die Sauberkeit meines Kleides und raffe es hoch und setze mich so hin,
mit nacktem Po, mein Körper spürt die Erde und kommt ihr sehr nahe. Es
ist als wenn Strahlen aus der Erde in mich einströmen, mit dem Einatmen,
und dann mit dem Ausatmen wieder zurückströmen – alles weil ich nackt
auf der Erde sitze. Starke Verbindung mit der Erde, ich und die Erde.
Nichts
weiter geschieht bis ich langsam aufstehe und weitergehe. Ich klopfe
meinen Po und Hüfthalter ab und das Kleid fällt wieder runter, und ich
bin froh, daß es sauber geblieben ist, denn auf der Reise können wir
unsere Sachen nicht so gut waschen. Ich habe schon, seit ich bei Susanne
die Mädchensachen anzog, keine Unterhose mehr an, wäre nur lästig und
unnötig unter einem so langen Kleid – wie eines der Mädchen sagt, und
sie alle haben sie ausgezogen – außer Marianne, wie ich eben schrieb.
Ja,
Förster: einmal treffen wir den Förster Kirchner, der hier sein Revier
hat. Sein Sohn ist etwa unseres Alters, der Götz, und begleitet ihn. Und
geht mit uns auf ein paar Stunden und zeigt uns ein paar seltene Bäume
und Büsche und Blüten und Früchte, die wir essen können. Und etwas
Besonderes: Da ist eine Gerätehütte am Waldrand, mit Stroh gedeckt. Das
Dach ist weiter als die Hütte und reicht über eine Art Sitzplatz, doch
da stehen Geräte wie Äxte, Sägen . . . Götz zeigt nach oben auf die
Unterseite des Strohdaches, da ist in das Stroh ein Vogelnest gebaut,
allerdings zerrissen. „Ein altes Zaunkönig-Nest. Da war mal was in
diesem Sommer: Ein Kuckuck-Küken saß darin, hatte die kleinen
Zaun-Prinzen alle rausgeschmissen und hatte es nun gemütlich, wurde von
den fleißigen Zaunkönigseltern gefüttert, die am Ende gewiß so
enttäuscht waren, daß sie nie wieder . . . “
„Dieses
große Biest in dem kleinen Nest, er hat das feine Nest-Gewebe richtig
gesprengt, muß hinterher selbst zu Boden gefallen sein.“
„Wir
haben uns gefragt, wie die Kuckucksmutter das Ei in das Nest gebracht
hat. Ich kann mir nur vorstellen, daß sie das Ei erst auf den Boden
gelegt hat – wahrscheinlich unter großem Geschrei der Zaunkönigseltern.
Es dann in den Schnabel genommen, hoch geflogen und sich kopfüber an die
Unterseite des Daches gekrallt und das Ei in das Nest gelegt. Anders
geht es nicht.“ Und Götz erzählte uns noch manche Geschichten von den
Tieren der Wälder.
[So habe ich das 1955 wirklich gesehen in den badischen Rhein-Auwäldern.]
In
einem Dorf gibt es Postkarten, und dabei ist ein Bild von einer in
Stein gehauenen Bildtafel, die auf der Milseburg stehen soll, ein Berg,
den wir täglich in der Ferne sehen, um den wir sozusagen rumgehen. Auf
der Tafel steht in kaum lesbarer Schrift „Sankt Gangolf“, ein Heiliger,
und „1835“. Ich musste mir das von einem Erwachsenen vorlesen lassen, so
verschnörkelt und altmodisch ist die Schrift. Dort wird ein Ritter
dargestellt, der einen Speer hält und ein Schwert umgegürtet hat, und er
trägt ein Buch oder sowas. Auf dem Kopf einen Hut mit sehr breiter
Krempe – oder ist das sein Heiligenkranz? Das Besondere für mich ist, er
trägt einen fast knielangen Faltenrock, oder Faltenkleid. Das ist
schön, der Rock weht im Wind und er erinnert mich an meine eigenen
Gefühle, die während dieser Tage mit den Mädchen gekommen sind: einen
weiten Rock tragen, am liebsten immer. Dann könnte ich immer Mädchen
sein, immer glücklich sein.
Dennoch
ist er der Heilige der Pferde und Reiter. Im Rock? Geht das? Doch auch
der Bildhauer hatte diese Zweifel und zog ihm noch Kniehosen an. Ich
jedenfalls fühlte mich berührt von dem Mann im Faltenrock, lieber ohne
Kniehosen. Ich sah mal Mädchen in kurzen Kleidern ohne Reithosen reiten,
geht also. Und ich stelle mir vor, daß da große Nähe zwischen Reiter
und Pferd ist, am besten ohne Kleidung, direkt mit dem Leib auf dem
Pferdefell – oder höchstens das dünne Unterhöschen dazwischen. Da
erinnere ich mich an ein Gemälde, wo Jungen und Männer auf Pferden ins
Wasser reiten, natürlich nackt.
Bild 7
Ich betrachte den felsigen Berg Milseburg.
So ist meine Wanderkleidung an diesen Tagen,
eine jungenhafte Baskenmütze sitzt auf meinem Ohr.
In Wirklichkeit trug ich viel mehr Gepäck.
Wir
wandern ein paar Stunden weiter und finden einen schönen Platz am
Waldrand, denn in den Wald hinein möchten wir nicht, man sieht zu wenig.
Nicht weit entfernt führt ein besserer Feldweg vorüber, und am zweiten
Tag kommen zwei Mädchen auf Rädern vorbei. Wir kommen ins Gespräch, und
sie bauen neben uns ihr Zelt auf. Zusammen sitzen wir an unserem Feuer
und wir hören – erstaunt –, daß es zwei Jungen sind, die aus diesem
Internat auf dem Berg, dem Schloß kommen und auf der Heimfahrt nach
langer Wanderfahrt sind. Sie haben etwas gemacht, was ich ähnlich auch
gerade versuche: „wir wollten es mal erleben: wie Mädchen gekleidet
reisen, in Jugendherbergen und Zelt leben. Es war gut, ein Erlebnis, das
uns etwas vom zwanghaften Mann-Sein abgebracht hat. Mädchen haben es
besser. Wir möchten nun beides leben – ob das geht?“ Es sind die zwei,
von denen uns Herr Penneckendorf schon erzählte.
Sie
hatten sich als Mädchen verkleidet und sind zwei Wochen mit den Rädern
umher gereist. Etwas verlegen erzählen sie uns von ihren Erlebnissen.
Ja, es geht, und sie sind traurig, daß sie nun in die Welt der Knaben
und Männer zurückkehren müssen – wie sie sagen –, ihre Ferien sind
vorüber, sie können nun nicht mehr ihre eigene Art leben. Morgen werden
sie in ihrem Internat wieder ankommen, sagen sie. Und nur als Jungen
leben.
Jahre später schicken sie mir einen Bericht ihrer Reise: „Jugendliche Tantra-Erlebnisse“, auch hier zu sehen: http://tantricum.blogspot.com/
Wir
sprechen noch darüber, ob wir Jungen nicht lieber Mädchen sein möchten.
„So ist das für mich nicht,“ sagt der eine, „ich möchte nur nicht so´n
Mann werden wie die meisten, grob und kämpferisch.“ „Mädchenkleider sind
so viel schöner als unsere Sachen. Ich suche nach einer Art, Junge und
Mann zu sein, wo wir den Mädchen ähnlicher sein können als es üblich
ist.“ – Mir geht es wohl ähnlich, und ich bin froh, daß wir hier rüber
ins Gespräch gekommen sind. Meine Vorstellungen werden klarer.
Herr
Penneckendorf hatte uns noch gesagt, „Junge sein ist etwas Besonderes,
das ein paar Jahre danach wieder verschwindet, wenn wir Mann werden.“
Nachdenklich sieht er auf seinen Hände im Schoß, als ob er überlegt, ob
er mit uns darüber sprechen kann. „Diese wenigen Jahre muß ein Junge
sehr nutzen, ich versuche es den Jungen in der Schule immer wieder zu
sagen.“ Er macht eine lange Pause. „Doch die meisten sind schon so sehr
in die Vorstellungen gefangen, schnell ein Mann zu werden. Ich nenne das
mal Leistungsdruck: ´werde mal ein richtiger und starker Mann!` hören
sie so oft, fast von Geburt an, bis es ihr Lebensinhalt geworden ist.
Ich finde das sehr schade.“ – „Auf diesem Weg gehen ihnen viele
Erlebnisse mit sich selbst verloren. Die sie haben könnten. Und wenn wir
erst Mann geworden sind, tut es uns leid, denn dann merken wir erst,
daß uns was fehlt. Manche Männer werden dann ein wenig närrisch auf der
Suche nach ihrer `Goldenen Kindheit´ wie es oft heißt.“
Ich nehme mir vor, mein Junge-Sein so lange wie
möglich zu leben – doch ich weiß, daß mich die Natur in einigen Jahren
ins Mann-Serin drängen wird, und bin schon jetzt ein wenig traurig.
Die
beiden Mädchen-Jungs erzählen auch von einem Platz in der Nähe, genannt
Steinwand. Die sollten wir unbedingt besuchen, ein großer Felsen mitten
im Wald. Da kommen wir zwei Tage später auch hin und bewundern das
Ding, eine hohe und lange Felswand, die aus lauter Steinsäulen besteht,
oben ist Wald, und unten auch. Unten geht ein Pfad entlang, den wir
wandern. Ich gehe voran und höre oben auf dem Felsen Stimmen. Bleibe
stehen und sehe kurz nach oben, da knallt einen halben Meter vor mir ein
kopfgroßer Stein auf den Pfad – oh Glück, daß ich stehen geblieben war.
Die Kinder oben rennen schnell weg. Oder waren es ein paar von den
angekündigten Riesen?
Wir
setzen uns von der gefährlichen Wand entfernt auf ein paar Felsen, die
im Wald umherliegen. Die Mädchen sprechen nochmal von den beiden
Mädchen-Jungs, „siehst du, auch andere haben solche Wünsche wie du,“
sagt Susanne lachend, „und ich mag dich in deinem Kleid und den
Strümpfen. Ist schöner und intimer als eure Jungens-Kleidung. Du bist so
offen, und du bist mir viel näher und befreundeter im Kleid – oder ich
sage mal, geliebter.“ Mehr und mehr merke ich, daß so ein Kleid mich
wirklich offener und klarer macht, auch offener für meine Gefühle, ich
entdecke meine sehr intimen Gefühle. Dieses Kleid ist so weit, und es
weht oder schwenkt umher. Es schließt nicht ab nach außen, es strahlt
auch aus. Ich kann wirklich ICH sein. Gerne fasse ich an den unteren
Rand meines weiten Kleides und wehe damit umher, das verstärkt noch
diese Gefühle, bringt sie in mein Bewußtsein. Und auch wenn ich über
meine Beine streiche, die von den Strümpfen eingehüllt sind: DAS
Wohlgefühl! Das alles hätte ich damals nicht so ausdrücken können, aber
die Erinnerung der Gefühle blieb mir erhalten, und so kann ich es heute
schreiben – noch immer voller Freuden, und trage seit ich 60 bin, nur
noch lange Röcke und erdbraune Strümpfe.
Ich
will nun noch mehr berichten wie es mir mit diesen Wünschen ergangen
ist. Wie ich auf meinem Felsstein sitze, merke ich, wie mein Kleid
hochgerutscht ist und alle darunter sehen könnten, wenn sie wollten.
Doch es scheint, es ist ihnen egal, jedenfalls eine Zeit lang. Dann
zeigt Johanna auf mich und sagt, „man kann ja tief unter dein Kleid
sehen,“ und ich sage frech, „wozu ist so ein Kleid denn sonst gut?“ und
alle lachen und kichern. Dennoch bleibe ich so sitzen und genieße das
alles, etwas bockig. Das findet Susanne nicht gut, kommt und zieht mir
mein Kleid runter. Na ja. Doch vorher sieht sie nochmal genau hin, und
das ist mir denn zu viel. Erst genieße ich es mal wieder, wie ein
Mädchen zu sein. Doch dann verdecke ich mit dem Kleid meine Unterwäsche,
schiebe es mit den Händen zusammen – und die Mädchen lachen.
Ein
Kleid (oder Rock) zu tragen ist etwas sehr Leidenschaftliches bei mir
geworden, in diesen Tagen in der Rhön. Die Mädchen verstehen meine
Leidenschaft gar nicht, „das ist doch das aller-Alltäglichste.“ –
Vielleicht habe ich eine besondere Körper-Sehnsucht? Der Körper will
sich und seine Umwelt spüren und nicht immer eingezwängt sein in feste
Hosen und Hemden. Doch wie ist es mit dem Hüfthalter und den Strümpfen,
und den Schuhen? Die sind eng. Meine Strümpfe sind dennoch irgendwie
locker, sie sind nämlich winddurchlässig, und außerdem liegen sie nicht
so dicht am Bein an wie die Perlons der Frauen. Und sie schlagen Falten.
Vielleicht sind sie zu groß, oder? Ich spüre sie immer, ich bin sie
nicht gewohnt und denke ständig an sie: wie schön ist es, sie an den
Beinen zu haben!
Die
Winddurchlässigkeit ist großartig. Nun verstehe ich, daß viele Mädchen
und Frauen lieber lange Strümpfe als lange Hosen anziehen. Und – viele
Beine sehen schöner aus in Strümpfen als nackt. Man kann sie verzieren,
indem man die Strümpfe verziert, doch das wird wohl selten getan.
Den
Mädchen in diesem Freundinnenkreis ist das nicht so wichtig wie mir,
und die Sehnsucht haben sie schon gerade nicht, wie ich sie habe. Sie
können´s ja immer haben. Lange Strümpfe und Kleider sind sehr normal für
sie, und sie sind Gewohnheit jedes Tages. Da sitzen wir ja oft auf dem
Boden, einander gegenüber, und wir ziehen oft die Knie hoch und wickeln
die Kleider drumrum. Doch nicht immer ist das so. Das Kleid und das
Unterkleid rutschen hoch, und alle können die Unterwäsche sehen. Ich
weiß nicht, wie die Mädchen untereinander das finden, jedenfalls sehe
ich gerne hin, wenn das so kommt.
Den
oberen Rand der Strümpfe und die Halter sehe ich gerne, und ich habe
Freude daran, daß die anderen meine sehen, und auch gerne hinsehen, bei
mir, wenn sie´s überhaupt tun. Ich stelle mich dar, und habe
Zuschauerinnen, die ich mag, und denen ich gerne meine Schönheiten
zeige.
Doch
manchmal machen die Strumpfhalter mir Probleme: Die Klammern und
anderes sind ja aus Metall, und sie drücken in die Haut, was etwas fremd
ist. Doch es gehört dazu, denke ich mir, Mädchen-Sein ist eben nicht so
einfach.
Die
Unterhosen von zwei Mädchen sind so locker wie die, die Susanne mir
neulich angeboten hatte. Auf unserer Wanderung ist es oft so, daß auch
sie keine Höschen anhaben (wie ich die ganze Zeit auch), es ist alles zu
sehen, wenn das Kleid hochweht, und vielleicht macht ihnen das Spaß,
und ich habe mich nicht getraut zu fragen. Die Höschen wären ja doch
kein richtiger Blickschutz, bei mir schon gerade nicht, fühle ich, da
ist mein Hüfthalter besser. Und ich muß eben mit dem Unterkleid
aufpassen, wenn ich nicht will, daß andere druntersehen. Und das will
ich nicht – außer in unserer Wandergruppe, wo mir das egal ist. – Das
sind alles so Dinge, wenn einer sich in eine so total andere Lebensweise
rein gewöhnen will.
Das
Größte an dieser Reise ist für mich, diese Kleidung am Körper zu spüren.
Nicht daß ich ein Mädchen werden möchte – da ist die Befürchtung meines
Vaters irgendwie unwirklich. Aber ich möchte auch nicht Nur-Junge sein,
ich möchte das Leben von allen Seiten haben. Und da gehören die
Erfahrungen der Mädchen mit IHREN Kleidern dazu. Ich gucke mir ab, was
sie haben, und was ihnen gefällt, und ahme es nach für mich. Auch wenn
es ihnen nicht immer gefällt, Kleider und Spitzenhöschen zu tragen, so
gefällt es mir aber. Und das ist schon was Gutes, oder? Genuß des
Lebens, Freude am Leben.
Wenn
wir uns aus- oder anziehen, ist mir der schönste Anblick, wenn sie –
oder auch ich – die Strümpfe ausziehen oder anziehen. Nicht nur Anblick,
ich spüre mit, was da geschieht, wie mein Körper sich sehnt. Oft wird
mein Glied dabei steif, und daran haben die anderen sich gewöhnt,
manchmal aber necken sie mich, „na, merkst du gar nichts?“ Oh, ich merke
es sehr, denn die Empfindungen reichen bis tief in den Unterkörper
hinein und sind irgendwie wohlig.
Das sind die Schönheiten, solche Kleidung zu tragen. Auch schon als großes Kind.
Jahre
später habe ich mal mit einem meiner Lehrer darüber gesprochen und ihn
gefragt, ob wir was falsch gemacht hätten. Er sagte, das sei alles
richtig so, auch wenn die Gesellschaft andere Anschauungen habe und uns
Jugendlichen ein schlechtes Gewissen machen wolle. „Die Sexualität ist
viel mehr als nur für die Fortpflanzung da. Wenn wir sorgfältig und wach
damit umgehen – und das habt ihr anscheinend getan –, verschafft sie
uns große Genüsse, und Freuden an einander, Mensch zu Mensch.“
Für
mein ganzes Leben danach haben mich die Mädchenkleidungen angerührt und
angeregt: die bunten und wehenden und losen Kleider, Unterkleider,
Strumpfhalter und Strümpfe – und die schönen Höschen mit den
Spitzenrändern. Das ist alles nie wieder vergangen in meiner Seele, wenn
ich diese Sachen auch nur selten getragen habe, erst im Alter wieder
mehr. Das ist meine weit gefasste Liebe, „in Liebe die Welt umarmen“
sagte mal jemand. Meine Liebe strahlt aus weit über diese Tage hinaus,
eben in die Welt und in die Zeit. Ich fühle, daß die Mädchen-Kleidung
selbst die männlichste Kleidung sein kann. Wenn wir uns dem öffnen. –
dem Mädchen in unserer Seele öffnen.
Dann
etwas ganz anderes, Tragisches. Abends hören wir in der Nähe einen
Schuß, dann noch einen, und ein Hirsch (ohne Geweih, also eine
Hirschkuh) kommt angerannt, stürzt aufs Feld, stürzt hin und stirbt, das
vor unseren Augen. Viel Blut. Wir rennen hin und wollen helfen, aber da
ist sie schon tot. Großes Entsetzen bei allen. Wir hocken uns hin und
berühren mit viel Mitleid den Körper des Tieres. Manche fangen an zu
weinen, dann alle, weinen vor Trauer und Wut. Dieses schöne Leben,
einfach so abgeknallt. Sehr schüchtern kommt ein Mann mit Gewehr aus dem
Wald. Ihm ist das alles sehr peinlich. Und er ist auch traurig und
betet vor der Leiche, auch er schluchzt. „Ich werde nie wieder ein Tier
schießen.“ Und er wirft das Gewehr weit weg.
Und
dann in den nächsten Tagen. Wir kommen an einen Hof, aus dem gerade ein
Trecker fahren soll. Aus der Einfahrt kommt der Trecker, gesteuert von
einem Jungen, der etwas älter ist als wir. Er trägt – doch etwas
ungewöhnlich – unter seinen sehr kurzen Hosen lange Strümpfe, und seine
rosa Strumpfhalter sehen auch heraus. Er hält an als er uns sieht, und
wir sagen, komm doch heute abend zu unserem Zeltplatz, du wirst schon
wissen, wo wir übernachten werden.
Er
kommt in derselben Kleidung schon eine Stunde später. Und wir weihen
ihn ein in unsere Art. Denn wir fragen ihn, wozu er diese langen
Strümpfe trage, die nicht so recht jungengemäß seien. „So kann ich
meine kurzen Hosen besser fühlen und erleben. Außerdem werden meine Knie
nicht kalt.“ Und sie sind wirklich sehr kurz, und weit, und als er sich
zu uns hockte, machte Marianne die sehr freche Bemerkung, „ich kann ja
deine ganzen Eingeweide sehen.“
Er
weiß, was sie meinte und windet sich in Verlegenheit, aber es ist ihm
nicht möglich, seine „Eingeweide“ zu verstecken. Ich zeige ihm, wie es
unter meinem Kleid aussieht, und wie meine „Eingeweide“ im
Seidenschlüpfer aussehen, den ich an dem Tag – ausnahmsweise – trage,
und ihm wird ganz heiß und er meint, „so möchte ich das auch mal haben. –
Und dann den Trecker steuern. Oder auf dem Ochsen reiten.“ „Hast du
eine Schwester? Leih dir doch mal etwas Mädchenhaftes zum Anziehen.“
„Und dann komm mit uns.“ „Das kann ich zwar nicht, aber heute nacht
werde ich hier sein,“ und er verschwindet und kommt nach einer viertel
Stunde zurück, im Kleid seiner großen Schwester, und sie kommt auch
gleich mit. Beide in Kleid und schwarzen Strümpfen, bäuerlicher Art
entsprechend.
Seine
Strumpfhalter sind wie bei Frauen üblich – und bei mir –, mit den
blitzenden Drahtklammern, doch die Schwester hat einen Knopf an jedem
Strumpf und hält ihn mit dem Lochgummiband – etwas einfacher – wie das
Mädchen auf dem Bild oben.
Es
wird eine leidenschaftliche Nacht am Feuer, schließlich mit unseren
Händen unter unseren Kleidern. Und viel freudigem Juchzen, auch von der
Schwester. Er sagte, „ich will nie wieder Hosen anziehen – vorbei,
versteht ihr?“ Ja, wenigstens ich verstehe. Und die Schwester meint,
„was Mädchen doch alles können. Ich will von euch lernen.“ Und sie wird
eine gute Schülerin über diese Nacht und noch bis Mittag den nächsten
Tag. Der Junge geht schon früh, denn der Trecker muß wieder gefahren
werden – im Kleid und langen Strümpfen und Strumpfhaltern – am
Kinderleibchen wie wir in der Nacht sahen. „Wie eine junge Bauersfrau,“
meinte er. Seine Strümpfe sind aus schwarzer Wolle oder sowas. Sehr
altmodisch scheint mir. Und er trägt nun wie seine Schwester eine bunte
Mädchenschürze über dem Kleid. Wie die meisten Mädchen, wenigstens zur
Schule.
Vielleicht bin ich zu taktlos. Denn in der Nacht
sehe ich etwas genauer unter sein hochgeschürztes Kleid – er hat ja gar
keine Haare da, wo ich auch keine habe, doch ich bin ja viel jünger,
fast noch ein Kind, oder wirklich noch ein Kind? Manchmal? „hast du dir
die abrasiert“ frage ich. Er nickt und meint, er habe keine Lust,
erwachsen zu werden – sagt es in seiner tiefen Jungmänner-Stimme. Passt
nicht recht zusammen. Da kommen mir die Gedanken, wie es wohl mit mir
weiter werden wird, werde ich mich auch rasieren? Und wird es mir schwer
fallen, eine tiefe Stimme zu bekommen? Nein – so wohl nicht, denn da
ich nicht Frau sein kann will ich auch kein Kind bleiben, geht einfach
nicht.
Nur, als Junge mal Mädchen sein, das ist etwas
Besonderes und voller Erlebnisse und Erfahrungen und war mir notwendig,
als Erfahrung.
Später
schreibt er mir einen Brief, in dem er meint, „ich habe es
durchgesetzt, ich ziehe nur noch Röcke an, und sonntags und zum
Gottesdienst Perlons darunter, genauso wie meine Schwester. Sie
unterstützt mich – auch in der Diskussion mit unseren Eltern. Selbst in
die Schule, die ja sehr kirchlich ist, und das gab viele unschöne – und
dann auch schöne – Diskussionen. Wieso Kirche dagegen ist, habe ich
nicht verstanden, und der Pfarrer konnte es auch nicht richtig erklären –
es sei eben unreligiös, sich als Junge wie ein Mädchen zu kleiden,
unchristlich. Was würde Jesus wohl dazu sagen, sagte er. Das war mir
aber egal, denn mir ist Jesus nicht nahe,“ und legt ein Bild von sich
bei:
Bild 8.
Mit den Jahreszahlen stimmt wohl was nicht, war wohl 1943.
Seine Schwester möchte wohl auch mal etwas von
sich zeigen und zieht ein Bild aus den Rockfalten, „seht mal, das hat
meine Mutter mal von mir gezeichnet, so lang sind meine Strümpfe im
Winter.“
Bild 9.
die ganz langen Mädchen-Winterstrümpfe –
für unterm Kleid zu tragen
Petra
nickt, „ja, so habe ich das im Winter auch. Das ist eine schöne
Zeichnung, richtig intim mütterlich-töchterlich. Typisch dieses
Unterhemd mit den verstärkten Trägern für die Strumpfhalter. Da ist ja
ein starker Zug drauf.“
In
den nächsten Tagen wandern wir bis zum Städtchen Gersfeld, und dort
kaufe ich mir ein paar Perlons, denn das ist das Höchste an
Mädchenkleidung, sie sind teuer, doch ich habe einiges Geld in meinem
Täschchen. Und ziehe sie in aller Anwesenheit an, an eine Bank in der
Nähe des „Lausjongebronn“ gelehnt, und genieße das Gefühl meiner Hand
auf den neuen Perlon-Knien, die Blicke der Mädchen auf meine Knie – und
auf meine Art, die Strümpfe anzuknüpfen –, der Hände der Mädchen auf
meinen Knien. Sie helfen mir – nicht weil ich es nicht könnte sondern
weil wir so vieles in Freundschaft zusammen machen, wir sind nun wie
eine kleine Familie. Da habe ich mich nun ausgerechnet am
Lausejungenbrunnen hingesetzt, passt zu meiner Tat, die Mädchen
nachzuahmen. Ist das Lausejungen-Untat? Mein Vater würde das wohl so
sehen. Um das nicht so auffällig zu tun, stellen sich die Mädchen um
mich, denn eigentlich sollte ich mich schämen, in aller Öffentlichkeit .
. ., sollte, aber da ist nichts an Scham.
Ich
kaufe mir die kleinsten Perlons, die sie haben, aber sie sind mir immer
noch zu lang, und ich muß sie oben noch zusammenschieben. Dennoch
sitzen sie nicht so stramm, wie es gedacht ist. Schlagen Falten, und ich
weiß nicht, was ich davon halten soll, ist nicht korrekt, wie meine
Mutter sagen würde. Doch es fühlt sich gut an.
Bild 10.
zusammen geschobener Rand
der Perlonstrümpfe (weil sie mir zu lang sind)
Später wandeln wir noch in dem Städtchen umher, es
ist etwas kühl, und ich fühle die Kühle durch die Strümpfe, sie sind
eben doch dünner als die Wollstrümpfe unserer Wanderung. Ich mag die
Kühle auf den Beinen, ist ein wohlig-kühles Beingefühl.
Ich
habe einiges Geld übrig (genau gesagt hatte mein Vater mir das
mitgegeben, um den Mädchen was Schönes zu kaufen, wir Männer für die
Frauen, wie er sagte, und Mutti rümpfte etwas die Nase: „verkrampfte
Ritterlichkeit“) und schenke jedem Mädchen unserer Gruppe auch ein Paar
Perlons, aus reiner Dankbarkeit und weil es so schön aussieht, und damit
wir alle ähnlich aussehen. Sie suchen sich die Farben aus, es gibt aber
nur beige, braune und schwarze, alle wollen die braunen, dickere oder
opak wie es heißt. Man kann nicht durchsehen. Und so war auch meine
Wahl.
Und
für zwei von ihnen, die nicht so gut ausgerüstet sind, kaufen wir für
ihre Haltergürtel solche Drahtschlaufen an den elastischen Haltebändern
(wie auf dem Bild oben), und wir ziehen morgens alles genußvoll an –
oder sehen genußvoll zu. Denn an Perlons kann man keine Knöpfe annähen,
sie sind zu fein, man kann nur die Schlaufen nehmen.
Und zwei brauchen für die Perlons auch
Haltergürtel. Solche Gürtel kann man nicht einfach so kaufen, sondern
man muß sie anprobieren, und vielleicht muß eine Schneiderin sie
anpassen. Das geschieht nun, und sie sagen, wir sollen alle mitkommen in
die Werkstatt. Da müssen die beiden sich ziemlich ausziehen, und die
Frau nimmt Maß und ändert dies und das an ihrer Nähmaschine. „Mit
Löchern für eine Schnur zum Verengen und Riemen zum Anpassen, denn ihr
müsst sie verändern können, je nachdem wie ihr wachst.“
Ich brauche so einen „Strumpfhalter-Gürtel“ nicht,
weil mein Hüftgürtel als Halterung ausreicht. Besorge mir Monate später
aber einen, so einen wie ihr oben auf dem Bild 3 sehen könnt.
In
Gersfeld gehen wir über Nacht in die Jugendherberge, denn wir können
die Gürtel erst am nächsten Morgen abholen. Die beiden ziehen sie
morgens an und sind nun mächtig stolz auf ihr Frau-Sein, „denn erst mit
Perlons und Strumpfhaltern sind wir echt Frau,“ sagt Marianne. Das ist
auch ein Wink an mich: „nun hast du also auch die ganze Ausrüstung, mit
echten Perlons.“ Ich will´s genießen ehe es vorbei ist. Auf der
Rückseite der Beine haben die Perlons einen dünnen, dunklen Streifen,
von oben nach unten, sieht extra-elegant aus, denken wir. Während der
ganzen Wanderung trugen wir Strümpfe aus Wolle (später höre ich, das war
Baumwolle), warm, doch nun in den Perlons ist es an den Beinen etwas
kühl, fühlt sich etwas sportlich an, denke ich, fast wie in kurzen Hosen
mit nackten Beinen. Meine Beine genießen das. Dazu Socken für die Füße,
ist gerade modisch.
Von
Gersfeld aus fahren wir wieder nach Hause, und wir wollen im Zug doch
ein wenig vornehm sein, ich als Mädchen natürlich auch, deswegen die
Perlons. Den Rauch der Lokomotive mochte ich nicht auf meiner Kleidung,
schon gerade nicht auf meinen Strümpfen, doch in den Tunneln drang er in
das Abteil ein, nicht schlimm, aber doch riechbar, und ein wenig rußig
auf weißem Stoff.
Das Einsteigen ist hier schwieriger als am Beginn
der Reise, denn die Waggons ab Gersfeld sind höher, drei Stufen, weil
der Bahnsteig so niedrig ist. Nun kann ich aber gut damit umgehen, wenn
das Kleid zu fliegen beginnt, im Wind – nun kann ich besser damit
umgehen als vor 14 Tagen, und ich schäme mich nicht mehr, wenn das
Drunter zu sehen ist. Denn ich stehe zu meinem rosa Rüschen-Unterkleid
und Strumpfhaltern. Vielleicht können die Leute sogar noch mehr sehen,
ganz kurz natürlich, denn ich habe gelernt, aufzupassen und das Kleid –
und das Unterkleid – sofort festzuhalten. Und „huch“ zu rufen. Wie die
meisten Mädchen in so einer Lage.
Im
Abteil sind ein paar andere Fahrgäste, Männer, und wir müssen schon
recht artig sein – oder so tun. Dennoch, Mädchengelächter schallt durch
den Waggon, und ich tue mit und lasse mein Kleid vor den Männeraugen
fliegen wie die anderen auch. Und dann tue ich so als ob sich ein
Strumpfhalter gelöst hätte und knüpfe ihn wieder fest – natürlich muss
ich dazu das Kleid anheben, im Stehen, vor den Männern – wo sonst.
Heimlich schaue ich aus den Augenwinkeln, wie die Männer damit umgehen:
vorsichtig sehen sie zu, und einer sagt, „das kannst du aber gut, sieht
gut aus, film-fähig.“ Und einer sagt, „eigentlich könntest du mal in
mein Studio kommen, dann machen wir ein paar Aufnahmen dazu.“ Wir hocken
uns auf die Bänke, und dabei rutschen unsere Kleider mal wieder hoch,
und die Männer dürfen ganz kurz druntergucken (sie sehen aber schnell
wieder weg, mit rotem Gesicht und ausgebeulter Hose) – doch das ist mir
zu riskant, das tue ich nicht.
Fulda,
Umsteigen. Eine Stunde Aufenthalt auf dem Bahnsteig. Da ist eine
senkrechte Eisenstange, die wohl das Dach hält, das halte ich mich dran
fest und lasse mich um die Stange schleudern, und wieder fliegt mein
Kleid hoch, auch das Unterkleid, und ich fühle die brennenden Augen von
ein paar Schuljungs auf meinem Leib. Sie sind ja so schamlos und gieren
mit ihren Blicken unter mein Kleid, und ich bin so frech und mache
weiter und reize sie noch mehr. Diese Schuljungs-Gier habe ich nun nicht
mehr – nie wieder gehabt. Ich habe gelernt, mich selbst im Kleid zu
genießen und nicht irgendwelche fremden Mädchen.
So, das war´s also: Mädchen-Erfahrungen für´n Jungen – große Lebenserfahrung!
Zuerst
gehe ich zu meiner Familie, um mich in den Mädchenkleidern zu zeigen,
sehr verlegen. Schon der Gang durch unser Wohnviertel, wo ich ja
Mit-Schüler treffen könnte . . . Einer hat mich aus dem Fenster gesehen
und spricht mich einige Tage später in der Schule an, er auch sehr
verlegen.
Meine
Mutter freut sich einfach, daß ich wieder zuhause bin. Mein Vater
bewundert meinen Mut, wie er sagt, „das hätte ich nie gewagt. Ich
gestehe, heimlich habe ich solche Wünsche auch mal. Sollte ich auch mal
wagen – oh, was für einen großen Sohn ich doch habe, . . . “ und ein
paar Tränen kamen ihm in die Augen. Mutti will auch seinen Mut
anstacheln, „wir können dir ja mal ein paar Frauensachen besorgen, meine
werden dir zu klein sein.“ Und dann bewundern sie meine Perlons, „daß
du DAS gewagt hast, die weiblichste aller Kleidung: Perlon-Strümpfe
(Nylons)!“ Ich zeige ihr, wie ich sie zusammen geschoben habe und sie
lacht laut los, „ja so ist das. Wenn du willst, beschaffe ich dir
kürzere, die gibt es nämlich für jüngere Mädchen. Daß die die nicht
hatten, wundert mich.“
Abends
wieder in Susanne´s Haus. Susanne lädt mich ein, wieder bei ihr zu
schlafen, und sie möchte mich wieder ausziehen. Das ist nun von solcher
schwesterlichen und mütterlichen Art, daß ich vor Rührung anfange zu
weinen. Wir sind uns ja sehr nahe, nun nach diesen zwei Wochen
gemeinsamen Wanderns. – Nein, auf eure unausgesprochene Frage: nein,
Höschen haben wir unter dem Nachthemd nicht anbehalten – ich ja sowieso
nicht, selbst tags nicht in unserer Heimatstadt.
Vor
dem Schlafen denke ich noch mal an meinen alten Satz, „Mädchen sind ja
was ganz nettes, aber richtig anziehen tun sie mich nicht.“ Das ist nun
etwas anders geworden: Weil das Zusammensein mit den Mädchen mir
geholfen hat, mich etwas mehr als Junge kennen zu lernen. Heute ziehen
mich Mädchen schon an, eben deswegen.
Am
nächsten Tag wieder ganz zu Hause: wieder in kurzer Hose und
Knabenhemd. Ganz Junge. Doch habe ich mich sehr verändert. Meine Mutter
ist mir näher, und mein Vater hat verstanden, daß es nicht so einfach
ist, einen Jungen einfach zum Mann nach irgendeinem festen Schema zu
machen. „Ich merke, Mann sein ist eine sehr persönliche Sache, und du
wirst deinen Weg gehen so wie ich meinen, anderen Weg gefunden habe. Ich
unterstütze dich so zu sein, wie du bist.“ Mir kommen Tränen für diese
Sätze und ich umarme diesen großen Kerl voller Freude, meinen Vater.
Die Wander-Gruppe: Susanne, Petra (Poetra), Johanna, Marianne, Dorothea, Stefan.